Mechthild Gläser ist ein ganz besonderes Märchen eingefallen. Eine Gruppe traditionell komischer englischer Schloßbesitzer ist dafür zuständig, dass in der Literatur nichts durcheinander gerät. Denn für die Protagonisten in den Büchern aller Epochen ist es durchaus möglich, sich durch verborgene Gässchen und über Geschichtenränder in andere Erzählungen hinein zu versenken. Die Buchspringer auf einer einsamen schottischen Insel sorgen für Ordnung. Zwischen ihrem 15. und 25. Lebensjahr haben sie die Fähigkeit, in Bücher zu springen und dort am Geschehen direkt teilzunehmen. Das ist auch den Romanfiguren bekannt, bei denen sie als „die Leser“ bekannt sind.
Auf diese seltsame Weise trifft auch Amy, Tochter einer nach Bochum ausgewanderten Buchspringerin zu Besuch bei ihrer skurillen Mutter, ihre literarischen Freunde. Mit Goethes Werther zieht sie durch die Bücher, hält ein Schwätzchen mit Shir Khan, wird bei Alice im Wunderland beinahe mit einem Kuchen vergiftet und stellt während ihrer Sprünge sehr schnell fest: in der gesamten Literatur stimmt was nicht. Ideen verschwinden, Geschichten ändern sich und damit dummerweise in allen Büchern der Welt.
Zusammen mit den beiden anderen jugendlichen Springern Betsy und William und der Romanfigur Werther versucht sie, Ordnung in das Chaos zu bekommen. Langsam stösst sie dabei auf das Geheimnis der Buchspringer-Insel und deren Bewohner und auch ihrer eigenen Herkunft …
Jetzt könnte ich natürlich erzählen, was ihr Geheimnis ist und das der Insel. Aber dann hätte ich Euch alles verraten, was sicher nicht schön wäre, denn das Buch ist voll ungewöhnlicher und spritziger Ideen und ziemlich spannend. Eine Spannung, die sich erst auf den letzten Seiten löst und das Geheimnis des verschwundenen Märchenmanuskriptes preisgibt.
Gekonnt verwebt Gläser siebenundzwanzig bekannte Werke der Literatur unterschiedlicher Genre miteinander – und mitunter muss man ganz schön aufpassen, wo welches eingebaut ist. Auf alle Fälle war es immer ungewöhnlich und sehr kreativ, wie die Figuren und Handlungen im Buch auftauchen.
Zudem gefällt mir der Schreibstil von Mechthild Gläser. Er ist einerseits einfach, andererseits gespickt mit malenden Ausdrücken, die das Lesen zu einem Genuss machen. Da „brüllt die Wut in den Ohren“ und „das Licht der Taschenlampe verfing sich an rot schimmernden Buchstaben“. Romantisch mit einer durchscheinenden Portion Humor und Kurzweiligkeit. Verspielte Gedanken geben eine Idee davon, was in diesen bekannten Werken noch hätte stehen können, anders hätte sein können, wenn Werther zum Beispiel nicht in Depressionen versunken wäre, sondern eine verwegene Seite an sich entdeckt hätte.
- Fazit: Ein wunderbares modernes Märchen, das Lust macht auf die kommenden Wintertage (und nebenbei eine Reihe von Werken vorstellt, die man unbedingt auch wieder einmal lesen sollte.)
Taschenbuch : 384 Seiten, die als Jugendbuch schon für 12 bs 15-jährige geeignet sind.
ISBN-10 : 3743204819
ISBN-13 : 978-3743204812
Herausgeber : Loewe; 2. Auflage (11. März 2019)
Klappentext:
Während des Sommerurlaubs auf einer vergessenen Shetlandinsel erfährt Amy, dass sie als Mitglied der Familie Lennox of Stormsay über die Fähigkeit verfügt, in Bücher zu reisen und dort Einfluss auf die Geschichten zu nehmen. Schnell findet Amy Freunde in der Buchwelt: Schir Khan, der Tiger aus dem Dschungelbuch, hat stets wertvolle Ratschläge für sie, während Goethes Werther zwar seinen Liebeskummer in tintenhaltigen Cocktails ertränkt, Amy aber auch ein treuer Freund ist, seit sie ihn vor den Annäherungsversuchen der Hexen aus Macbeth gerettet hat. Lediglich die Idee, Oliver Twist Kaugummi zu schenken, war nicht die beste …
Doch bald merkt Amy, dass die Buchwelt nicht so friedlich ist, wie sie zunächst scheint. Erst verschwindet Geld aus den Schatzkammern von Ali Baba, dann verletzt sich Elizabeth Bennet auf dem Weg zum Ball mit Mr Darcy, sodass eine der bekanntesten Liebesgeschichten der Weltliteratur im Keim erstickt wird. Für Amy ist klar: Sie muss den Störenfried stellen! Doch erst, als sich die Zwischenfälle auch auf die Realität auswirken und schließlich sogar ein Todesopfer fordern, wird Amy klar, wie ernst die Bedrohung ist. Worauf hat es der geheimnisvolle Attentäter wirklich abgesehen?