Mutter, was hast du mir verschwiegen? – Es gibt sie in jeder Familie: diese Geheimnisse, über die niemand spricht. Diese Momente, wenn sich das Gegenüber abwendet oder weniger gekonnt das Thema wechselt, weil „man darüber nicht spricht“. Zurück bleibt mitunter mehr als nur die unbeantwortete Frage. Zurück bleiben auch die unbeantworteten Gefühle des Fragenden.
Stefanie, erfolgreiche Managerin in den 80er Jahren, will eigentlich nur mal sehen, wo sie denn gezeugt wurde. Nicht geboren, sondern gezeugt. An den richtigen Ursprungs ihre Seins geht sie zurück. Das soll Sinnbild für den gesamten Roman werden.
Denn das Örtchen in der Heide, von dem ihre Eltern wegzogen noch bevor sie geboren war, ist nur die erste Station auf Stefanies Reise. Im Verlauf der Geschichte wird sie noch vor vielen Häusern stehen, ihre eigenen Erinnerungen bearbeiten, ihre Eltern anrufen und Fragen stellen. Fragen, die auch nach dreissig Jahren nicht beantwortet werden. Wieder bleibt Stefanie allein mit ihnen.
Und doch gelingt es ihr, die Geschichte langsam aufzurollen. Anhand von einzelnen Worten, Gegebenheiten, die sie selbst kombiniert, Gesprächen, die ihr aus Kindheit und Jugendtagen wieder einfallen.
Eltern sowie Grosseltern gehörten zu Kriegesgenerationen. Die Grosseltern hatten beide Weltkriege erlebt und die Eltern den zweiten. Onkel gefallen oder verschwunden. Kinder gestorben. Familien zerbrochen und nur noch Hüllen eines gespielten Zusammenlebens. Darin wird Stefanie gross. Wen wundert es, dass sie – obwohl erfolgreich im Beruf – im Zusammenleben mit Mann und Geliebtem keine Erfüllung finden kann. Wie schwer ist es doch Gefühle zu lernen, wenn man keinen Lehrer dafür hatte.
Bewältigt Stefanie letztendlich ihr Gefühlsleben. Ich verrate mal soviel: ja, tut sie. Aber wie, das dürft ihr selbst lesen.
Helga Brehr hat diesen Roman bei BoD selbst verlegt. Gemeinhin bleiben Self-Publisher-Bücher innerhalb einer gewissen Fangemeinde. Das wäre für diesen Roman sehr schade. Er liest sich flüssig, geht sehr in die Tiefe und ist mitreißend geschrieben. Ich jedenfalls habe mitgefiebert, was Stefanie so alles herausfindet. Und wenn ich Bücher bis tief in die Nacht lese und innerhalb von ein paar Tagen durchgelesen habe, heißt das schon etwas. Für mich jedenfalls.
Sehr positiv fand ich im Gegensatz zu Verlagswerken, dass es endlich einmal eine Schriftgrösse war, die sich angenehm lesen liess – auch ohne Mikroskop. Leider hat BoD Schwierigkeiten mit der Druckqualität, so dass immer wieder mal Seitenhälften hellschwarz gedruckt sind. Ein Manko, das allerdings der Geschichte selbst keinen Abbruch tut. Vielleicht lernt BoD ja auch noch so gut zu drucken wie Helga schreibt.
Mir hat Stefanie gefallen. Die Frau, die sich selbst aus der Gefühlskälte zieht. Bernd Hellinger hätte sich ganz besonders über das Ende gefreut.
Aber mehr verrate ich jetzt wirklich nicht.
Danke Helga, dass Du dieses Buch mitgebracht hast zum 4. Griechisch-Deutschen Lesefestival nach Berlin und ich somit Gelegenheit hatte, es zu entdecken.