Verwirrende Lügen oder gelogene Verwirrungen?

Prof. Dr. Bisera Suljic-Boskailo hat sich dafür eingesetzt, dass das Werk von Sead Mahmutefendic “PLACEBO” jetzt erstmals in deutscher Sprache herausgebracht wird. Und ich durfte beim Lektorat dabei sein.
Ein interessantes Buch.PLACEBO: Charme und Horror der Lügen:

Bei Gojko wusste man nie, ob er schauspielerte, bluffte oder ob er nur ein Verrückter war. Je mehr ich in dieses Buch hineinlas, umso mehr faszinierte mich diese Verrücktheit, die Gojko bis in die Tiefen auszuloten und auszuleben schien. War er jetzt jemand, der mit den anderen spielte und hatte seinen Spass daran – oder war er selbst eine ganz einsame Person, der es am nötigen Selbstvertrauen und –bewußtsein ebenso mangelte wie an einer klaren Vorstellung vom Leben, und der deshalb von einer Kuriosität in die nächste schlitterte?

Sead Mahmutefendić lebt und arbeitet in Rijeka und Sarajevo und ist ein bekannter kroatisch-bosnischer Dichter, Romancier, Erzähler, Essayist, Publizist und Literaturkritiker. Außer seinen Büchern schrieb er auch für Magazine, Zeitungen und Radiostationen. Gedichte, Prosawerke, Romane und Essays gehören gleichermaßen zu seinem Schaffen. Seine Werke wurden in Russisch, Englisch, Spanisch, Deutsch, Französisch, Italienisch, Niederländisch und Mazedonisch veröffentlicht.

Das Buch hat mich vom ersten Moment an gefesselt. Grotesk, satirisch, provokativ. Ein Buch, das man entweder genau deswegen mag – und eben nicht. Prahlerisch erzählt hier Gojko ausgedachte Geschichten als Erinnerungen und Erlebnisse, die nie stattgefunden haben, formt so in surrealen Gesprächen ein Bild von sich selbst, wohl damit er mit sich, seiner Frustration und seiner Einsamkeit auskommen kann. Frau, Kinder, Freunde, Bekannte und Kollegen sind lediglich Statisten in den unterschiedlichen Leben, die Gojko gern gelebt hätte.Die Sprache ist direkt und drastisch. Sead Mahmutefendić nimmt kein Blatt vor den Mund und lässt das Vornehme wie das Ordinäre und Gewöhnliche sich äußern. Gojko ist nicht zurückhaltend, jedenfalls nicht mit Worten.Eine andere Welt ist es sicherlich, in die der Leser hier eintaucht. Der Balkan und die Geschichte des ehemaligen Jugoslawien sowie seiner heutigen Provinzen sind uns doch nicht so vertraut. Eine Lücke, die PLACEBO helfen kann zu füllen. Es sind mehr die Gefühle, die das Buch wachruft beim Lesen als die Beschreibungen, die hierzu beitragen. Doch, obwohl die Geschichten viele Orte, Abkürzungen und Bezeichnungen lokaler Einrichtungen verwendet, wird es nicht verwirrend. Ein paar der Begriffe hat die Übersetzerin zum besseren Verständnis erklärt. Alles andere wird so plastisch beschrieben, dass man es sich gut vorstellen kann. Ich bedanke mich bei Bisera, dass sie mir dieses Werk gegeben hat. Eine schöne Aufgabe, das alte Jahr zu beenden und 2020 zu beginnen. Ich wünsche dem Buch viel Erfolg – es ist es sicher wert, gelesen zu werden. 

Erschienen im Engelsdorfer Verlag 12/2019