Das Schweigen der Bücher…

Als bestes Buch erhielt Der letzte Kampf des Kapitän Ni’Mat von Mohamed Leftah den Mamounia-Literaturpreis 2011und steht doch gerade in Marokko auf dem Index. Zensiert vom Ministerium für Kommunikation. Was steht in diesem Buch, dass Marokko es nicht lesen soll?

Kurz gesagt, erzählt Mohamed Leftah die Geschichte eines rebellischen Hauptmanns, der die langen Tage nach dem aktiven Dienst zusammen mit seinen ehemaligen Mitstreitern aus Armee-Zeiten im exklusivsten Schwimmclub für reiche aber gelangweilte Rentner verbringt. Er war schon immer von revolutionären Gedanken beseelt, interessierte sich für Literatur, war dem Marxismus/Kommunismus gegenüber nicht verschlossen und kämpfte für die Gleichstellung der Frau in der arabischen Welt. Er schied früh aus dem Militärdienst aus, heiratete und verbrachte seitdem scheinbar glückliche Ehejahre in Kairos Nobelviertel Maadi. Bis eben zu jenen Schimmbadtagen, als  Ni’mat eine nie zuvor dagewesen geglaubte innere Regung entdeckt, das Gefühl der Liebe für den homosexuellen Sex mit einem jungen nubischen Diener. Fatal in der Welt, in der er lebt. Noch fataler, dass er sich am Ende dazu bekennt und seine langjährige Ehefrau verlässt.

Ich habe das Buch, das zuerst in französischer Sprache erschienen ist, in holländisch gelesen – obgleich das nun nicht meine Muttersprache ist und ich dadurch beim Lesen auch so manche Nuance misse, war ich vom Stil und den Beschreibungen Leftahs angetan. Einfühlsam und doch direkt, zögerlich und doch treibend. Selbst als Frau werde ich mitgezogen in diesen Strudel der Gefühle. So fremd sie mir sind, kann ich doch verstehen, wieso Kapitän Ni’Mat tut, wonach ihn sein Sehnen treibt. Ich wünsche es ihm sogar. Ich wünsche ihm, dass ihm mehr Verständnis von Seiten der anderen entgegengebracht wird – und ich leide mit ihm, dass er die verletzt, verletzen muss, die er  aus tiefstem Herzen liebt.

Mohamed Leftah hat durchaus ein Kontroversum mit seinem posthum veröffentlichten Buch geschaffen. Nach seiner Freigabe im Januar 2011 erhieltes eine weitgehend positive Resonanz, trotzdem wurde seine Verbreitung lokal unmöglich gemacht. Die arabischsprachige Zeitung Achourouk sprach Kommunikationsminister Khalid Naciri auf das Geheimnis der Abwesenheit des Leftah Buches in marokkanischen Buchhandlungen an. Seinerzeit lautete die Antwort wohl: „Haben Sie nichts Besseres zu tun? Ich behandle große Angelegenheiten der Nation, keine “tafahate” (Trivia, ed).” (1) Inzwischen wurde vom Ministerium ein Dementi bezüglich Zensuren veröffentlicht, allerdings ohne das Buch Leftahs dabei zu erwähnen. „Die Antwort auf die Nicht-Verbreitung dieses Romans in Marokko ist mit dem Markt zu erklären“, sagt eine „Quelle in der Regierung“. Von vielen Schriftstellern – national wie international – wurde und wird noch heute dazu aufgerufen, dieses Buch vom Index zu nehmen.

Das Buch ist unbedingt lesenswert. Nicht nur, weil es uns einen Einblick in ein Leben in fremden Ländern verschafft, den wir sonst so nie erfahren würden. Nicht nur, weil es zensiert wurde und man damit ja schon fast an verbotenen Früchten nascht. Sondern, weil es ein literarisches Werk ist, das uns, unser Gefühlsleben, unser Verständnis und unseren Verstand bereichert. Bis jetzt ist es das einzige Buch, was ich von Leftah kenne – die anderen sind leider alle nur in französisch zu finden, einer Sprache, der ich nicht mächtig bin. Aber vielleicht kommt da noch was…

Laura-Victoria Skipis hat jedenfalls Der letzte Kampf des Kapitän Ni’Mat jetzt ins Deutsche übersetzt und es kommt am 4. Oktober 2017 auf den Markt. Ich freue mich darauf, es in meiner Muttersprache noch einmal zu lesen.

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Mohamed Leftah, geboren 1946 in Settat/Marokko verbrachte die letzten zehn Jahre vor seinem Tod im Jahre 2008 in Ägypten. Er schrieb insgesamt 10 Novellen und arbeitete für den Martin du Sahara und Temps du Maroc. Er schrieb auf französisch.

(1) https://www.yabiladi.com/articles/details/7444/censure-dernier-combat-mohamed-leftah.html – 12/7/2017