Helga Brehr, bekannt unter anderem auch den Freunden des Griechisch-Deutschen Lesefestivals, hat diese Novelle geschrieben und erneut ihrer Liebe zum alten griechischen Drama Ausruck verliehen. Wie wäre es wohl, wenn ein Vater heute seine Tochter auf dem Altar der Pharmakologie opfern soll, wenn der Probant nicht mehr der – für einen eventuell lebenslangen Schaden – schlechtbezahlte Junkie oder Obdachlose um die Ecke ist, sondern das eigene Fleisch und Blut.
Euripides hat das Beispiel von Iphigenie erzählt, Helga Brehrs Heldin heißt Irene, schwer verliebt in einen Marketingchef, dem sie unbedingt ihren Mut und ihre Entschlossenheit beweisen will. Wild und genauso entschlossen versucht die Mutter, die Schandtat, das Opfer am Mittag, zu verhindern.
Mit leisen, aber spannungsvollen Worten erzählt die Autorin die antike Geschichte aus dem Hause der Mykäner neu. In der heutigen Zeit ist der Tempel der Artemis ein Unternehmen für Impfstoffe, geopfert wird für den Krieg mit der Nadel auf dem Altar des skrupellosen Kapitalismus einer Industrie, die in der heutigen Zeit eine der größten und einflußreichsten ist.
Wie in der Antike die Göttin Artemis, so hat auch der Gott der Spritzen ein Einsehen mit der so tapferen Protagonistin. Anders als Euripides, bleibt es bei Helga nicht bei einem Opfer. Sie macht deutlich, dass die Pharma ihren Preis verlangt. Verschont es auch die eigenen Kinder, so siechen doch vier unbekannte Testpersonen vor sich hin. Wie im richtigen Leben. Von daher wurde das antike moralische Dilemma modern industriefreundlich gelöst: es glauben immer welche dran.
Auch diese Novelle, wie schon die vorhergehende „Ödipa“ ist ein leicht zu lesender und zu verstehender Stoff. Die Charaktäre sind herausgearbeitet, erkennbar und lebensecht. Der moralische Konflikt einer, der uns heute alle angeht. Nicht nur, wenn es um Pharma geht, sondern auch bei vielen anderen Themen: wieviel erlauben wir? Ab wann beginnen wir, unsere Kinder auf dem Altar der Wissenschaft und des Kapitals zu opfern… – ein Buch, das zum Nachdenken anregt. Nicht, weil es so intellektuell ist, sondern weil es so lebensnah und emotional ist.
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